Deutschland macht Tempo: Neues Digitalministerium soll Verwaltungs-Chaos beenden
Flickenteppich aus 11.000 Insellösungen
Die Bundesregierung startet einen beispiellosen Neuanfang in der Digitalisierung. Ein neues Bundesministerium für Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung soll endlich die Wende bringen – denn Deutschland hinkt peinlich hinterher.
Der Handlungsdruck ist gewaltig: Während das Land für industrielle Präzision weltweit bekannt ist, rangiert es bei der digitalen Verwaltung auf einem beschämenden 21. Platz von 27 EU-Mitgliedstaaten. Auto anmelden, Kindergeld beantragen, Gewerbe registrieren – fast alles läuft noch über Papier und persönliche Termine.
Die neue Behörde unter Leitung von Ex-MediaMarktSaturn-Chef Karsten Wildberger hat eine Mammutaufgabe vor sich: über 8.000 verschiedene IT-Systeme und Portale müssen koordiniert werden, die bisher völlig unabhängig voneinander arbeiten.
Das Kernproblem liegt in Deutschlands föderaler Struktur: 16 Bundesländer und rund 11.000 Kommunen haben jahrelang ihre eigenen digitalen Lösungen entwickelt. Das Ergebnis? Ein Chaos aus inkompatiblen Systemen, die nicht miteinander kommunizieren können.
“Diese unglaubliche Vielfalt der Systeme” – so beschreibt Minister Wildberger das Problem – blockiert jeden Versuch, bürgerfreundliche Online-Services zu schaffen. Trotz einer Bundesverpflichtung von 2017, zeitraubende Verwaltungsabläufe zu digitalisieren, ist der Fortschritt erschreckend langsam geblieben.
Die Fragmentierung ist so stark, dass selbst einfache Datenaustausche zwischen Behörden unmöglich sind. Was in Estland oder Dänemark längst Standard ist, scheitert in Deutschland an technischen Hürden.
Privatwirtschaftsprofi gegen Behördenträgheit
Mit Karsten Wildberger setzt die Regierung bewusst auf einen Quereinsteiger. Der ehemalige Elektronikketten-Boss soll mit privatwirtschaftlicher Effizienz das träge System aufmischen. Sein Ministerium – noch provisorisch in einem ehemaligen Berliner Autohaus untergebracht – bündelt Kompetenzen, die früher auf fünf Ministerien und das Kanzleramt verteilt waren.
Die neue Struktur gibt Wildberger weitreichende Befugnisse: Kein Digitalprojekt anderer Bundesministerien kann mehr ohne sein Okay starten – vom Cyberschutz bis zur Online-Führerscheinbeantragung.
“Deutschland Stack”: Die digitale Grundlage
Das technische Herzstück der Strategie trägt den Namen “Deutschland Stack” oder “D-Stack”. Diese bundesweite IT-Infrastruktur soll als einheitliche Basis für alle künftigen Behördenservices dienen.
Der D-Stack verspricht klare Schnittstellen und Cloud-Services – und könnte damit endlich das Ende der zehntausenden Einzellösungen einläuten. Erstmals könnten Bund, Länder und Kommunen nahtlos Daten austauschen.
Doch bis zur Umsetzung ist es ein weiter Weg: Alle föderalen Ebenen müssen sich erst auf gemeinsame Standards einigen – ein politisch komplexer Prozess.
Datenschutz als Innovationsbremse?
Minister Wildberger identifiziert einen unerwarteten Gegner: Deutschlands “tief verwurzelte Besessenheit mit Datenschutz und Privatsphäre” könnte zur “Innovationsbremse” werden. Diese kulturelle und politische Hürde zu überwinden wird genauso wichtig sein wie neue IT-Systeme zu implementieren.
Die Balance zwischen Bürgerschutz und digitaler Effizienz wird zu einer Schlüsselfrage der kommenden Monate.
Geduldsprobe für Digital-Deutschland
Wildberger dämpft übertriebene Erwartungen: “Es gibt keinen Schalter, den man einfach umlegen kann, und dann ist alles digital und alles in Ordnung.” Die Transformation brauche “Zeit, Mut, Expertise, Geduld und Partner”.
Neben dem D-Stack steht der Breitbandausbau ganz oben auf seiner Agenda – ein Bereich, in dem Telekommunikationsunternehmen bisher hauptsächlich profitable Stadtzentren bevorzugt haben.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob diese neue ministerielle Struktur endlich den Durchbruch schafft, um Deutschlands Verwaltung ins 21. Jahrhundert zu katapultieren.


