Industrie fordert Reform des EU-Emissionshandels
Chemie- und Stahlriesen sehen Standort bedroht
Die deutsche Industrie schlägt Alarm: Konzerne wie BASF und Evonik warnen vor einem dramatischen Wettbewerbsnachteil durch die hohen CO2-Kosten im europäischen Emissionshandel. Der Druck auf das Wirtschaftsministerium wächst, in Brüssel eine Reform des Systems zu erwirken – bevor deutsche Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern.
Diese Entwicklung stellt die Bundesregierung vor eine Zerreißprobe: Einerseits bekennt sie sich klar zu den europäischen Klimazielen, andererseits müssen die existenziellen Sorgen der energieintensiven Branchen ernst genommen werden.
Ende Oktober schlugen die Chefs der deutschen Industriegiganten ungewöhnlich scharfe Töne an. Die energieintensiven Branchen Chemie und Stahl sehen sich durch die steigenden Kosten für CO2-Zertifikate massiv benachteiligt gegenüber Konkurrenten aus Staaten mit weniger strengen Klimaschutzauflagen.
Ihre zentrale Forderung: Das Auslaufen der kostenlosen Zertifikatszuteilung überdenken und den Emissionshandel so reformieren, dass europäische Unternehmen nicht abgehängt werden.
Unterstützung kommt vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dieser kritisiert die EU-Klimaziele als “deutlich zu hoch gegriffen”. Eine strikte Umsetzung würde die deutsche Wirtschaft überfordern und zu einem Rückgang von Wertschöpfung und Wohlstand führen.
Regierung zwischen den Fronten
Während die Industrie auf die Bremse tritt, verteidigen andere Akteure den eingeschlagenen Weg. Der Bundesverband deutscher Banken sprach sich explizit für eine planbare CO2-Bepreisung aus und warnte vor einer Verwässerung des kommenden ETS-2 für Verkehr und Gebäude.
Umweltminister Carsten Schneider will sogar noch weiter gehen: Er fordert eine Verlängerung der CO2-Zertifikatausgabe über 2039 hinaus, um der Industrie Planungssicherheit bis 2045 zu geben.
Das Wirtschaftsministerium setzt auf den Industriestrompreis. Nachdem die EU-Kommission im Juni grünes Licht für staatliche Stromsubventionen gegeben hatte, arbeitet die Bundesregierung an einem nationalen Konzept zur Entlastung energieintensiver Unternehmen.
ETS-2 startet 2027 – mit ungewissem Ausgang
Ab 2027 wird der Emissionshandel auf Gebäude und Verkehr ausgeweitet. Doch Experten warnen bereits jetzt: Das neue System könnte in Deutschland anfangs kaum Lenkungswirkung entfalten.
Einige befürchten sogar sinkende CO2-Preise durch politische Eingriffe und geplante Preisdeckel. Das würde Klimaschutzinvestitionen konterkarieren und langfristige Planungen erschweren.
Die DIHK fordert klar: Doppelbelastungen beim Übergang vermeiden und schnell für Klarheit sorgen.
EU-weite Herausforderung: Klimaschutz ohne Industrieflucht
Deutschlands Debatte spiegelt ein europäisches Dilemma wider: Wie kann der Übergang zur Klimaneutralität gelingen, ohne die industrielle Basis zu gefährden?
Das EU-ETS reduziert seit 2005 nachweislich industrielle Emissionen. Die verschärften Klimaziele im “Fit for 55”-Paket erhöhen jedoch den Druck massiv. Der geplante CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) soll europäische Firmen schützen, indem er Importe mit CO2-Kosten belegt.
Doch dessen Wirksamkeit ist ungewiss. Solange der CBAM nicht reibungslos funktioniert, fordern Industrievertreter weiterhin ausreichend kostenlose Zertifikate, um “Carbon Leakage” zu verhindern.
Entscheidung fällt in Brüssel
Die kommenden Monate werden entscheidend. Das Wirtschaftsministerium führt intensive Gespräche mit der EU-Kommission über praxistaugliche Lösungen. Im Fokus stehen Anpassungen beim Auslaufen kostenloser Zertifikate und die konkrete Ausgestaltung des Industriestrompreises.
2026 bietet sich eine Chance: Die geplante ETS-Überprüfung durch die Europäische Kommission öffnet ein offizielles Fenster für Reformen. Bis dahin will die Bundesregierung Allianzen mit anderen EU-Staaten schmieden, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Der Erfolg entscheidet darüber, ob die Klimatransformation als Chance oder Belastung für den Industriestandort Deutschland wahrgenommen wird.


