Lange warnt vor verzerrter Wahrnehmung des Ukraine-Kriegs
Der sicherheitspolitische Experte Nico Lange warnt vor einer verzerrten Wahrnehmung des Ukraine-Kriegs in Deutschland.
"Wir projizieren unsere Wünsche auf die Wirklichkeit", sagte der Leiter der Zeitenwende-Initiative der Münchner Sicherheitskonferenz der Mediengruppe Bayern. Der russische Präsident Wladimir Putin verweigere bislang einen Waffenstillstand und wolle erst auf Basis "altbekannter Maximalforderungen" direkte Gespräche führen. Das spreche Bände, so Lange: "Putin meint, er kann verhandeln und gleichzeitig weiterkämpfen." Mit Blick auf die deutsche Debatte warnt Lange vor gezielter Desinformation und Einflussnahme durch Russland: "Unsere Debatte wird nicht nur durch Lügen und Propaganda vergiftet, sondern sie wird von außen beeinflusst."Wehrhaftigkeit bedeute auch, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es gebe einen Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit - "den kann man nicht einfach aufheben, indem man versucht, irgendwo in der Mitte zu landen". Und weiter: "Es ist Teil der russischen Kriegsführung, die Debatte bei uns zu verfälschen und zu beeinflussen. Und es ist auch ein Teil von Wehrhaftigkeit, wenn man das nicht mit sich machen lässt." Zudem erklärte er: "Sicherheit kostet Geld. Kostenlosen Schutz aus den USA wird es nicht mehr geben. Über Jahre hinweg haben wir den Verteidigungshaushalt als Steinbruch genutzt - um Mittel für andere Zwecke herauszubrechen." Zur Debatte um die Lieferungen des Marschflugkörpers Taurus stellte Lange klar: "Waffenlieferungen an ein angegriffenes Land machen den Unterstützer völkerrechtlich nicht zur Kriegspartei." Die Sorge, Deutschland könnte durch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zur Zielscheibe werden, hält er für unbegründet: "So wie nichts passiert ist in Bezug auf Paris und London, als die Marschflugkörper geliefert haben." Angesichts wachsender globaler Bedrohungen plädiert Lange für höhere Wehrausgaben: Ein Verteidigungsziel von 3,5 Prozent des BIP plus 1,5 Prozent für sicherheitsrelevante Infrastruktur sei realistisch und notwendig. "Sicherheit kostet Geld", so Lange. Deutschland müsse technologisch in der Lage sein, seine Sicherheit eigenständig zu gewährleisten. Auch zur Gefahr eines Atomkrieges äußerte sich der Sicherheitsexperte. Kürzlich flammte der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan erneut auf - beides Atommächte. Der frühere Leiter des Leitungsstabs im Verteidigungsministerium sagte: "Die strategische nukleare Abschreckung funktioniert - seit Jahrzehnten." Die aktuelle Angst in der deutschen Bevölkerung sei verständlich, aber nicht neu. Er erinnerte an Politiker wie Franz Josef Strauß (CSU), der eine "Haltung der Stärke verinnerlicht" habe. Propaganda, etwa im Nahost-Konflikt, bleibe ein ernstzunehmendes Problem, so Lange weiter. Akteure mit professionellen Ressourcen und gezielten Strategien beeinflussten gezielt die öffentliche Meinung, auch in Deutschland. "Laut sind oft nicht die Klügsten, sondern die Meinungsstarken", warnte Lange. Er forderte die deutsche Regierung auf, weder den USA, noch China den Vorsprung in der Entwicklung moderner Rüstungstechnologien zu überlassen: "Wir müssen technologisch in der Lage sein, unsere Sicherheitsaufgaben eigenständig zu bewältigen. Es wäre inakzeptabel, wenn bestimmte Fähigkeiten in Zukunft nur in den USA oder in China verfügbar wären. Dafür müssen wir in Forschung, Entwicklung und sicherheitsrelevante Technologien investieren."