Müntefering warnt vor Stigmatisierung von AfD-Wählern
Ex-SPD-Chef Franz Müntefering warnt vor einer Dramatisierung der jüngsten AfD-Wahlerfolge und vor einer Stigmatisierung aller AfD-Wähler.
"Wir dürfen jetzt nicht so tun, als ob mit dem Triumph der AfD das Grundgesetz ausgehebelt wird", sagte Müntefering dem "Tagesspiegel" (Dienstagsausgabe). Mit Blick auf die AfD-Wahlerfolge in Sachsen und Thüringen sagte er: "Das Grundgesetz lebt. Die demokratischen Parteien sind in der Pflicht, es zu verteidigen. Und sie können das."Der Wahlerfolg in Thüringen, wo erstmals seit 1945 eine rechtsextreme Partei als stärkste Kraft in einem Landtag sitzt, sei "jetzt ein Triumph für die AfD. Aber es ist auch eine Last, die sie zu tragen hat", sagte der frühere Vizekanzler Müntefering. "Weidel, Höcke und Co. werden nun genauer denn je beobachtet, was sie mit ihrer Macht anstellen." Der Rechtsextremismus lebe davon, "Stunk zu machen, statt Politik zu gestalten. Ich bin deshalb sicher, dass die AfD in absehbarer Zeit an ihr Ende kommen wird - oder aber sich verändert und entradikalisiert." Müntefering sieht nicht alle AfD-Wähler für die Demokratie verloren. "Die wenigsten AfD-Wähler sind Nazis. Die folgen derzeit den Schreihälsen auf den Marktplätzen, aber sie pflegen in der Mehrheit kein nationalsozialistisches Gedankengut", sagte der Ex-SPD-Chef. "Da sind auch Leute dabei, die sich in Vereinen, im Sport engagieren. Diese Leute wollen uns demokratischen Parteien einen mitgeben, mal richtig Zoff machen." Wer nicht zum Kern der "Überzeugungstäter" zähle, sei für die Demokratie nicht verloren. "Wer AfD aus Protest wählt, dem sollten die demokratischen Parteien ein Angebot machen: Lasst uns miteinander reden, gern auch streiten. Aber wir erwarten von Euch, dass ihr die Demokratie nicht aufgebt. Viele, viele AfD-Wähler lassen sich ganz gewiss für SPD, CDU, FDP und Grüne gewinnen. Das muss unser aller Ziel sein." Müntefering rief die demokratischen Parteien dazu auf, in der Sache zu streiten, aber sich "nicht permanent wechselseitig schlecht (zu) reden. SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und Linke müssen sich unterhaken. Sie müssen die Demokratie sichern gegen Rechtradikale und Neonazis. Die akzeptieren keine demokratischen Regeln und wollen ihre Meinungen rücksichtslos durchsetzen." Wer die AfD durch Regierungsbeteiligungen in den Ländern einbinden wolle, "ist der Auffassung, die AfD wolle konstruktiv mitarbeiten. Das streite ich den Neonazis ab. Wenn die AfD so abstimmt wie die SPD oder die CDU, kann ich das nicht verhindern. Aber man darf sich von der AfD nicht in die Ecke ziehen lassen."